Im Oktober 2006 lud die Stadt Uelzen zu einem Colloquium hinsichtlich der Erforschung des Notaufnahmelagers Uelzen-Bohldamm ein, an der auch die Geschichtswerkstatt Uelzen teilnahm. Die Stadt Uelzen förderte darauf hin die Erarbeitung eines Quellenrepertoriums, mittlerweile ist auch eine Magisterarbeit zum Thema fertig gestellt, die zur Dissertation ausgebaut werden soll. Die Geschichtswerkstatt ihrerseits beschloss, sich auf eigene Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen, indem sie zunächst Zeitzeugen ausfindig machen und interviewen wollte.
Wir haben seitdem verschiedene Zeitzeugenbefragungen durchgeführt , ein Teil der Interviews wurde auch gefilmt. Es wird naturgemäß aber immer schwieriger, noch Zeitzeugen zu finden, die von ihren Erlebnissen im oder mit dem Lager berichten können. Gleichzeitig wissen viele Menschen aus Uelzen und Umgebung nichts mehr über das Lager und seiner Bedeutung. Durch diese Erkenntnis kam uns die Idee, erneut eine Filmdokumentation in Angriff zu nehmen. Die positive Resonanz des ersten Filmprojekts über die letzten Kriegstage 1945 in Uelzen hat uns dabei bestärkt.
Wir haben dadurch erfahren, dass mit dem Medium Film ein Publikum erreicht werden kann, dass sich ansonsten für geschichtliche Themen nicht so interessiert zeigt. Der Film möchte die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Notaufnahmelagers Uelzen -Bohldamm vor dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, des Kalten Krieges und des Wiederaufbaus erzählen.
Im Herbst 1945 wird Uelzen von der britischen Militärregierung aufgrund seiner günstigen Verkehrslage als Standort für ein Flüchtlingsdurchgangslager ausgewählt, das Lager in nur zwei Wochen aufgebaut. Allein zwischen Mai 1946 und September 1947 kommen etwa 800.000 Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, etwa 6000 pro Tag, in Uelzen an, die versorgt und weitergeleitet werden mussten. Viele bleiben auch im Kreis Uelzen. Es bereitet große Schwierigkeiten, die vielen Menschen zu ernähren und unterzubringen.
Zusätzlich kommen ab 1947 zunehmend Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone, mit denen zunächst keiner gerechnet hatte. Die Situation in Niedersachsen wird immer schwieriger, da es mit seiner 540 km langen Grenze besonders großen Zulauf hat und nach Vorstellung der britischen Besatzungsmacht auch alle Flüchtlinge aufnehmen muss, während sich andere Länder den Zuwanderern verweigern und sie häufig nach Niedersachsen zurückschicken. Kurz vor der Eskalation kommt es im Sommer 1949 zum Abschluss der Uelzener Verträge, die eine Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge, zunächst ohne Beteiligung der französischen Zone, regeln. Sie werden 1950 durch das bundesdeutsche Notaufnahmegesetz abgelöst. Uelzen und Gießen werden zu zentralen Durchgangslagern für DDR -Flüchtlinge. Nur der anerkannte politische Flüchtling erhält das Recht auf Arbeits- und Wohnraumzuteilung. Illegales Aufhalten wird aber weder strafbar noch kann der Abgelehnte zur Rückkehr gezwungen werden. Das Problem der „Illegalen“ löst sich im Laufe der Zeit gewissermaßen indirekt durch das sogenannte Wirtschaftswunder mit dem großen Bedarf an Arbeitskräften.
Das Lagerleben ist durch die allgemeine politische Entwicklung unmittelbar betroffen, sie spiegelt sich in der Flüchtlingsbewegung wider. Ein Einschnitt in der Flüchtlingspolitik ist z.B. die Errichtung der Sperrzone 1952. Um Berlin, das damit zum Nadelöhr wird, zu entlasten, wird die Aufnahme großzügiger gehandhabt. Viele Flüchtlinge werden ausgeflogen.1954 beruhigt sich die politische Situation, auch die Anerkennungsverfahren werden wieder strenger gehandhabt. Das Lager wird im Laufe der Zeit komfortabler ausgebaut und auf eine längere Bestehensdauer eingerichtet. Man ist auf eine Aufnahmekapazität für circa 1000 Personen eingerichtet, das Lager ist über die Jahre durchschnittlich mit 850-950 Menschen belegt. Verschiedene im Lager tätige Wohlfahrtsorganisationen helfen bei der Betreuungsarbeit. Durch die vielen Menschen, die tagtäglich versorgt werden müssen, wird das Notaufnahmelager auch zum Wirtschaftsfaktor für den Kreis Uelzen, zeitweise sind hier mehr 460 Menschen angestellt. Außerdem werden Zuwanderer aus der DDR in den Jahren zu begehrten Arbeitskräften, manche lassen sich auch im Kreis Uelzen nieder, und helfen beim wirtschaftlichen Wiederaufbau der jungen Bundesrepublik mit. Bauförderprogramme für Flüchtlinge tragen zur Beendigung der Wohnungsnot bei und beleben die regionale Wirtschaft.
Die örtliche Presse berichtet regelmäßig über Entwicklung und Ereignisse des Lagers, und in der Lagerkulturhalle werden häufig u.a. von Uelzenern kostenlose kulturelle Veranstaltungen für die Zuwanderer geboten. Dennoch wird auch in Uelzen deutlich, hier hat man als Grenzregion zudem mit den entsprechenden Problemen zu kämpfen, dass das Leben im geteilten Deutschland zum Alltag wird. Der Bau der Mauer im August 1961 beendet die oft bewegende Zeit das Notaufnahmelagers, das im März 1963 endgültig geschlossen wird. Bis dahin sind hier allein 765.000 DDR-Flüchtlinge aufgenommen worden. Insgesamt wurden im Bohldammlager zwischen 1945 bis zur Schließung über 4 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge registriert und karteimäßig erfasst. Die Menschen im geteilten Deutschland müssen nun mit der Grenze leben, bis die friedliche Revolution 1989 in der DDR die Wiedervereinigung einleitet und das Kapitel der Nachkriegszeit abschließt.
Um diese Geschichte auch erzählen zu können, haben sich mehrere Zeitzeugen gefunden, die ihre Erlebnisse mit und im Lager berichten. Manche sind Flüchtlinge, die später im Lager gearbeitet haben. Wir haben abgelehnte wie anerkannte Flüchtlinge interviewt, die ihre Geschichte erzählen, vom Lager, aber auch vom Neuanfang hier in Uelzen. Für die Bebilderung der Filmdokumentation haben wir zahlreiche Fotos aus Archiven und Privatbesitz gesammelt. Außerdem haben wir die Erlaubnis, einige Szenen aus dem Film „Asylrecht“ (1949) von Rudolf Kipp zu entnehmen, um das frühe Lager zeigen zu können.
Private Filmaufnahmen aus Stadt und Kreis Uelzen, die zur Verfügung stehen, dokumentieren die Zeit des Wiederaufbaus und geteilten Deutschlands vor Ort. Mit Unterstützung von Herrn Bräuer, der die Firma B.TV-Videoproduktion betreibt und uns bereits beim letzten Filmprojekt erfolgreich unterstützt hat, hoffen wir ein interessantes wie spannendes Kapitel regionaler Zeitgeschichte dokumentieren zu können.