Einen Eindruck über den Alltag und Art des Zusammenwirken der Wohlfahrtsorganisationen als Arbeitsgemeinschaft geben Protokolle der Teamsitzungen aus dem Jahr 1954.
1954 erhielten die Notaufnahmelager Anordnungen, die Aufnahmeverfahren wieder strenger zu handhaben. So
schrieb der stellvertretende Lagerleiter des Lagers Uelzen im April 1954 einen Bericht über die Verschärfung des Notaufnahmeverfahrens und das Problem der Abgewiesenen:

„Seit acht Tagen ist auf Anweisung des Herrn Bundesministers für Vertriebene der Leiter des Aufnahmeverfahrens dazu übergegangen, einen verschärften Maßstab bei der Aufnahme von SBZ-Flüchtlingen
anzulegen. Das Verhältnis der Abgewiesenen zu Angenommenen beträgt im Verlauf der letzten 8 Tage zwischen 42 und 54%.“

Infolgedessen wurde die Lagerleitung von mehreren aufgebrachten abgelehnten Familien aufgesucht, die keine persönlichen Bindungen in Westdeutschland hätten, dennoch nicht bereit seien, in die DDR zurückzukehren und erklärt hätten, zum Stehlen gezwungen zu werden, falls man ihnen nicht helfe. Die Lagerleitung wisse zwar, dass mit der Ablehnung ihre Zuständigkeit aufhöre, könne sich aber dennoch nicht der Verantwortung für diese ungeklärten Schicksale verschließen. Daher habe man mit der Dienststelle des Landesarbeitsamtes im Lager eine mögliche Vermittlung dieser Personen besprochen. Dies sei bei einigen Fällen bei Vermittelbarkeit in die Landwirtschaft auch möglich gewesen. Außerdem habe es eine Besprechung mit der Inneren Mission und der Caritas zwecks Einweisung hilfsbedürftiger Personen bzw. Ehefrauen in Heime gegeben. Allerdings sei die Aufnahmefähigkeit von dieser Seite bald erschöpft. Einigen abgelehnten Personen wurde der Lageraufenthalt verlängert, um die Aufnahmemöglichkeit restlos zu klären. Fahrkarten in das Bundesgebiet würden von den Wohlfahrtseinrichtungen ausgegeben. In den letzten acht Tagen seien 28 Fälle mit 58 betroffenen Personen aufgetreten. Es sei nur einer in die Ostzone zurückgekehrt. Die weitere Entwicklung lasse sich nicht absehen, daher müsse ausreichend Fürsorge bereit stehen. „Ferner müsse sich auch die Propagandatätigkeit mehr auf eine Aufklärung der Bewohner der SBZ richten müssen.“

Verschärfung der Aufnahmebedingungen

Die Verschärfung der Aufnahmebedingungen erschwerte entsprechend die Arbeitsbedingungen im Durchgangslager, da man letztlich mit den Abgewiesenen allein gelassen wurde. In einer Zusammenkunft der Vertreter der Wohlfahrtsorganisationen, des Arbeitsamtes und dem Leiter des Kreiswohlfahrtsamtes anlässlich der neuen Durchführungsverordnungen führte Lagerleiter Brauner den Mitarbeitern deutlich vor Augen, vielleicht um das Engagement nicht abflachen zu lassen, das er bei einer Fortsetzung der Aufnahmepraxis eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit befürchtete. In der letzten Zeit sei es im Lager schon zu mehreren Vorfällen von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen anerkannten und abgewiesenen Lagerbewohnern gekommen, die nur mit Hilfe des Ordnungsdienstes beendet werden konnten. Die aggressive Stimmung im Lager rühre daher, dass sich die Abgewiesenen ungerecht behandelt fühlten. Insgesamt kehre aber nur 1% der Abgewiesenen in das sowjetische Besatzungsgebiet zurück.

„Nur durch die Einschaltung der örtlichen Polizeibehörde ist bisher verhindert worden, dass, wie im Jahre 1950, Abgelehnte in der Umgebung des Lagers sich in Erdhöhlen einnisten.“

Die Vertreter der karitativen Einrichtungen machten ihrerseits deutlich, dass sie mit ihren Möglichkeiten ziemlich am Ende seien. So erklärte der Vertreter der inneren Mission, dass bei ihm täglich etwa 50 abgewiesene Personen vorsprechen würden. Den großen Teil habe er bisher in Bethel, Himmelsthür oder im eigenem Lagerheim unterbringen können, den anderen Personen habe er Fahrkarten besorgt. Der Caritas-Vertreter legte dar, dass sich an ihn täglich zwischen 12 und 15 Personen wenden würden, die er bisher in Nordrhhein-Westfalen habe unterbringen können. Aus Kostenersparnisgründen habe er in mehreren Fällen die Familien mit seinem eigenen PKW an den Bestimmungsort gebracht. Auch seine Hilfsmöglichkeiten seien begrenzt. Ubereinstimmend stellten sie fest, dass es besonders schwierig sei, alte Ehepaare unterzubringen. Auch der Leiter des Kreiswohlfahrtsamtes erklärte, dass seine Stelle täglich von 10 bis 15 Fällen um Hilfe, meist und
um Reisegeld, gebeten werde. Dies könne er aber nur bei Sicherstellung von Unterkunft und Arbeit geben, wenn er sich nicht der fürsorgerechtlichen Abschiebung mit entsprechenden finanziellen Folgen für seinen Kreis schuldig machen wolle. Im Monat April habe er allein fünf Fälle von im Notaufnahmeverfahren abgelehnten Geisteskranken, die eine Einweisung inniedersächsische Krankenhäuser bräuchten, gehabt.

Hier wird nochmals besonders deutlich, wo die Problematik und die soziale Härte der Verordnungspraxis lag, die Zuständigkeiten ungeklärt und damit Menschen letztlich der Wohltätigkeit überließ. Solange es sich um junge, arbeitsfähige und flexible Menschen handelte, konnten sie auch ohne Anerkennung verhältnismäßig schnell
in der Bundesrepublik untergebracht werden, das Problem war der „Rest“.