Eine besondere Bedeutung unter diesen Organisationen kam sicherlich der britischen Kinderhilfe S.C.F. – Save The Children Fund – zu, handelte es sich hier schließlich um eine Einrichtung die im „Windschatten“der britischen Besatzung mit ins Lager gekommen war. Mit den Besatzern kam auch humanitäre Hilfe mit ins Land, wobei diese Hilfe vornehmlich den unschuldigen Opfern des Krieges, den Kindern, galt, die gleichzeitig die Hoffnungsträger einer gemeinsamen friedlichen Zukunft sein sollten.

Die Hilfe, die zu einem Zeitpunkt kam, als man von deutscher Seite noch gar nicht dazu in der Lage gewesen wäre, hatte damit auch einen großen symbolischen Wert. Die komplizierte wie effektive Zusammenarbeit zwischen den britischen und deutschen Stellen war nicht zuletzt der langjährigen Leiterin der britischen Kinderhilfe, Bridget Stevenson, zu verdanken. Die Briefe Miss Stevensons an den Lagerleiter lassen auf eine harmonische Zusammenarbeit schließen. Bridget Stevenson ist auch heute noch vielen Uelzenern in ihrem sowohl energischen als auch freundlichen Auftreten in Erinnerung geblieben.

Der Save the Children Fund in Uelzen

Der S.C.F. war seit 1946 in Uelzen. Das Büro befand sich gegenüber dem Lager in der Luisenstraße 67a. Der Wohnort Miss Stevensons lag wohl während des Bestehens des Lagers in Uelzen. 1959 wohnte sie in der Schillerstraße Nr.17. Nach der Auflösung des Lagers engagierte sie sich in anderen Teilen der Welt für notdürftige Kinder und wurde als Auszeichnung für ihre Arbeit in den Adelsstand erhoben.
Eine umfassende Übersicht über die Tätigkeit des S.C.F. im Lager und darüber hinaus in Stadt und Kreis Uelzen gab Lagerleiter Brauner auf Nachfrage des „Archivs für Wohlfahrtspflege“ im Jahr 1954. Er schrieb, dass der S.C.F. seit 1946 im Lager tätig sei und gemeinsam mit den freien Wohlfahrtsorganisationen die Betreuung der Flüchtlinge übernommen habe. Besonders in der Zeit vor der Währungsreform sei von dieser Stelle sehr viel für das Lager getan worden, sowohl für die Kinderbetreuung als auch durch erhebliche Sachspenden aus dem Ausland. Der S.C.F. arbeite weltweit in der Hoffnung, dass aus den Kindern, denen jetzt geholfen werde, einmal helfende Erwachsene werden würden.

,,Die Aufgabe hier in Deutschland ist in zwei Gebiete aufgeteilt: das eine Gebiet umfasst die Tätigkeit im Notaufnahmelager Uelzen und die Betreuung der Stadt und des Kreises Uelzen, und das andere Gebiet umschließt die Ausdehnung der Arbeit auf das ganze Bundesgebiet.“

Diverse andere Flüchtlingsheime und Waisenhäuser würden unterstützt. Kinderverschickungen würden durchgeführt, Patenschaften organisiert. Seit 1952 bestünde in England das Hill House“, in dem bisher 250 Flüchtlingskinder gewesen seien. In Hamburg bestünde ebenfalls eine Zweigstelle des S.C.F., in Aachen und Oberhausen deutsche Komitees. In einem anderen Bericht aus dem Jahr 1953 berichtete Brauner, dass der S.C.F. tägliche Lebensmittelspenden für den Kinderhort und -garten des Lagers aufbringe, so etwa Kakao, Honig, Orangensaft und Lebertran. Der Lagerleiter wies aber ebenfalls darauf hin, dass die britische Organisation auch in Not geratenen Kindern außerhalb des Lagers helfe. Diese Hilfe gestaltete sich mitunter ganz spontan und unkompliziert. So hatte man beispielsweise Ende 1954 noch Bekleidung aus einer Spende der Unicef „über“, und Miss Stevenson schlug vor, die Kleider an Bedürftige zu verteilen, was dann offensichtlich auch organisiert wurde.

Bridget Stevensons berichte zu Umfang und Tätigkeit des S.C.F. in Uelzen

Auch Bridget Stevenson selbst verfasste Berichte über Umfang und Tätigkeit ihrer Organisation im Lager. Sie schrieb im Januar 1954 an Brauner, dass im Jahr 1952/53 für Deutschland allein 30.666 Pfund verwendet worden seien. Man habe aber für die Zukunft damit zu rechnen, dass die Mittel verringert werden müssten, da in anderen
Ländern wie in Korea geholfen werden müsse. Allerdings konnte sie im folgenden Jahresbericht aufführen, dass für Deutschland 58.035 Pfund ausgegeben worden seien. Sie glaube, dass von dieser Summe allein drei viertel nach Uelzen und Gießen fließen würden.
Ein weiterer Bericht aus dem Jahr 1955 verdeutlicht sowohl die Art und Weise der Unterstützung als auch die Zusammenarbeit mit der Stadt Uelzen. So schreibt sie., dass in ihrer Nähstube zwei Mitarbeiterinnen erkrankt seien. Mit Hilfe der Stadtfürsorgerin Fräulein Grünwald habe der Ausfall vorübergehend ersetzt werden können. Ein wichtiges Betätigungsfeld war die Vermittlung von Patenschaften. So hätten über 100 Kinder einen Paten aus England oder der übrigen freien Welt erhalten. Sie bekämen vom Paten regelmäßig Geldgeschenke, alle drei Monate dreißig Mark, Pakete zu Weihnachten und zu Geburtstagen sowie regelmäßigen Briefkontakt, wobei der S.C.F. die Übersetzungsarbeiten leiste. Als weiterer Bereich wurde von Miss Stevenson die Kindererholungen genannt. Verschiedene Erholungslager seien mit Decken und Lebensmitteln ausgestattet worden, z.B. für die Ferien- und Wochenendlager des C.V.J.M., die Aufenthalte, die die Caritas für die Jungen des Kinderhorts in Hösseringen organisiert habe sowie für die 400 Kinder, die vom Kreisjugendpfleger verschickt worden seien.

Weiter habe man Erholungsaufenthalte organisiert, so seien 90 Kinder (aus dem Lager, der Stadt und auch D.P-Kinder) in drei Gruppen in den Harz und Mädchen aus dem Kinderhort nach Sylt geschickt worden. 15 Kinder seien in Hill House gewesen und somit bereits 50 Kinder in den letzten zwei Jahren für drei Monate in England gewesen sind. Weiter berichtete Miss Stevenson, dass ebenfalls eine Gruppe kleinerer Kinder im ,,Watzummer“-Häuschen gewesen sei. Über einen solchen Aufenthalt im Hill House gibt es einen Bericht im Kreisarchiv Uelzen von einer Frau, die gemeinsam mit der Uelzener Kindergärtnerin Irmgard Eickelmann eine Gruppe D.P.-Kinder dort hin begleitete, leider ohne Jahresangabe.
Vornehmliches Ziel dieser Reise war wohl, die Kinder physisch wie psychisch ein wenig aufzupäppeln. So wurde die Unterkunft in Hill House als sehr komfortabel beschrieben mit großen freundlichen Zimmern für die Kinder, viel Spielzeug und einem großen Park vor dem Haus. Es wurden viele Ausflüge mit den Kindern unternommen. Leider seien auch zahlreiche Zahnarztbesuche notwendig gewesen, da der Zahnstatus der Kinder sehr schlecht gewesen sei.

Deutsch-Britische Kooperationen

Durch die Jugenderholung entstanden gelegentlich intensivere Verbindungen. So erwähnte Miss Stevenson in ihrem Jahresbericht 1954 den Aufenhalt von zwölf britischen Jungen in Norddeutschland. Die Einladung der Jungen, die aus den ärmsten Teilen Londons stammen würden, sei eine Gegenleistung für ein deutsches Jugendlager in England des Vorjahres gewesen. Daraufhin wurden die Deutschen erneut nach Großbritannien eingeladen, worüber Miss Stevenson später mit Freude Lagerleiter Brauner berichtete. Sie betonte dabei, dass der Austausch auf Gegenseitigkeit beruht und äußerte die Hoffnung, dass auf diese Art und Weise Ansätze tiefer gehender Verständigung und auch Freundschaft geschaffen werden könnten – immerhin erst zehn Jahre nach Beendigung des schrecklichen Krieges. Sie schrieb:

Eine gemischte Gruppe von D.P. und deutschen Jungen ist bei dem S.C.F. Klub in Harwich in England gewesen. Dies war vielleicht ein besonders nettes Unternehmen, da die Einladung ursprünglich nicht von dem S.C.F., sondern von dem Leiter des Klubs persönlich kam. Er war im letzten Jahr auf Einladung des C.V.J.M. mit einer Gruppe von armen englischen Jungen in Deutschland, und da er so sehr von der sich ihm hier gebotenen internationalen Freundschaft beeindruckt war, beschloss er, die deutschen Jungen gleichfalls einzuladen. Er hatte in der Stadt Harwich etliche persönliche Freunde von ihm dafür gewonnen, ihm dafür ein Jahr lang in jeder Woche 50 Pfennig zu geben, dabei war keiner seiner Freunde reich.“

Der S.C.F. habe aufgrund dieses Engagements die Fahrtkosten übernommen. Es seien gelungene Ferien geworden und viele Freundschaften hätten sich entwickelt.

Verwaltungsleiter Hermann Gross

Es ist anzunehmen, dass die gute wie effiziente Zusammenarbeit der englischen Organisation mit den deutschen Wohlfahrtsverbänden und zuständigen deutschen Behörden durch die engagierte Jugendarbeit des Verwaltungsleiter des Lagers, Hermann Gross, mit unterstützt wurde.
Gross, dessen soziales Engagement durch die Jugendbewegung geprägt worden war, arbeitete seit Oktober 1945 im Flüchtlingslager. In dieser Zeit wurde er bereits wieder in der Jugendarbeit aktiv. So hatte er im Februar 1946 verschiedene Unterredungen hinsichtlich der Gründung einer Jugendgruppe für heimatlose Jugendliche in seinem damaligen Wohnort Ebstorf. Später hatte er u.a. Beziehungen zu zwei Niederlassungen der dänischen Heim-Volkshochschule in Wolfsburg und Salzgitter, die unter der Schirmherrschaft des Dänischen Roten Kreuzes standen und sich um jugendliche Flüchtlinge kümmerten. Außerdem engagierte er sich für den Wiederaufbau der bündischen Jugend im Kreis Uelzen. Er war Mitglied des 1953 gegründeten Kreisjugendringes Uelzen und gründete 1956 den Verein für Jugenderholung. Ziel des Vereins war zunächst, sozial-Schwachen Jugendlichen aus Berlin Erholungsferien in den Naturgebieten der Bundesrepublik zu ermöglichen.

Die Organisation der Jugenderholung war laut Auskunft seiner Tochter politisch erwünscht, da die DDR ebenfalls Freizeiten für Berliner Jugendliche anbot. [Der Verein für Jugenderholung besteht übrigens bis heute.] Bald ging es aber auch um Angebote des Jugendaustausches ins Ausland. Der Landkreis Uelzen baute Ferienkolonien in Bodenteich und Wichmannsburg, wo später ein regelmäßiger deutsch-französischer und bald darauf auch andere internationale Jugendfreizeiten stattfanden. Die Betreuer dieser Jugendorganisationen wurden vom Verein für Jugendarbeit in Zusammenarbeit mit der Bezirks- und Stadtjugendpflege ausgebildet. Tochter Hanna folgte Engagement ihrer Eltern. Ihre erste Jugendlagererfahrung hatte sie 1957, als sie im Auftrag von Miss Stevenson ein jugendlager in Schleswig-Holstein betreute.

Länger als geplant

Natürlich agierte eine Organisation wie der S.C.F. nicht unabhängig von den allgemeinen politischen Entwicklungen, wie schon allein der Hinweis auf verstärkte Hilfsmaßnahmen in anderen Krisenregionen der Welt andeutet. Dennoch muss die Arbeit im Bohldammlager für Miss Stevenson und den hinter ihr stehenden Persönlichkeiten gewesen sein. Nicht zuletzt war das Lager ein Symbol des Kalten Krieges und eine Anklage gegen die mangelnde Humanität des politischen Gegners. Bridget Stevenson wurde nicht müde Herrn Brauner darauf hinzuweisen, dass bei ihren zahlreichen Besuchen in anderen Lagern immer wieder auf die besonders guten Zustände in Uelzen aufmerksam gemacht wurde und viele der Flüchtlinge betonten, dass es in Uelzen „am schönsten” gewesen sei.

Vermutlich wegen dieser Symbolfunktion des Lagers konnte sich die britische Kinderhilfe länger als eigentlich geplant in Uelzen halten. Denn bereits im September 1950 war ein Artikel in der Uelzener AZ erschienen, demzufolge die britische Kinderhilfe im Lager aufgelöst werden sollte. Dieser Artikel wurde anlässlich des Besuches der „Vizekönigin von Indien“, Countess Mountbatten, veröffentlicht. Der hohe Besuch zeigte sich sehr beeindruckt von der deutsch-britischen Zusammenarbeit im Lager und versprach sich dafür einzusetzen, dass Miss Stevenson ihre Tätigkeit noch länger fortsetzen könne. Es sei eigentlich geplant, dass diese letzte Dienststelle der britischen Kinderhilfe in Deutschland angesichts der mittlerweile gut arbeitenden deutschen Wohltätigkeitsorganisationen zugunsten inzwischen wichtigerer Krisenherde in Sudan, Korea und China abzubrechen.