Einen Einschnitt in der Flüchtlingspolitik bedeutete die Errichtung einer Sperrzone entlang der Grenze der DDR 1952. Bereits die Erfahrungen der Koreakrise hatten zu einer Verhärtung der deutsch-deutschen Beziehungen geführt. Der im Frühjahr des Jahres 1950 erfolgte Aufbau einer kasernierten Volkspolizei in der DDR hatte bei der Regierung Adenauer große Besorgnis ausgelöst. Der Ausbruch des Krieges zwischen dem kommunistisch beherrschten Nordkorea und dem von westlicher Seite gestützten Südkorea ım Sommer verstärkte dıe Bedrohungsängste zusätzlich. Sie führten wiederum zur Gründung des Bundesgrenzschutzes 1951 und zum Vorantreiben des Anschlusses der Bundesrepublik an das westliche Bündnissystem.

Nach den gescheiterten Versuchen der UdSSR, die Integrierung der Bundesrepublik ın die westliche Milıtärallianz zu verhindern, wurde die deutsch-deutsch Grenze – mit Schießbefehl, am 16. September 1952 wurde zum ersten Mal ein Mensch an der Grenze erschossen – zur Westgrenze des sozialistischen Lagers. Mit der Errichtung einer 5 km-Sperrzone wurden Teile der dort lebenden Bevölkerung zwangsevakuıert. Außerdem wurden die Passierscheine für die Menschen, die bis dahin ım Westen gearbeitet hatten, ungültig. Die ost-westliche Infrastruktur brach nun auseinander. Die Grenzgebiete des Westens wurden innerhalb kurzer Zeit in das allgemeine Sanierungsprogramm für Notstandsgebiete einbezogen, die zerrissenen Wirtschaftsund Verkehrsräume sollten neu aufgebaut werden.

Zuwanderern aus der sowjetischen Besatzungszone

Innerhalb der DDR wurden nicht nur erhöhte Anstrengungen der militärischen Aufrüstung unternommen, sondern nach SED-Parteitagsbeschluss der „beschleunigte Aufbau des Sozialiısmus“ angeordnet. Die Folgen waren eine drastische Verschlechterung der Lebenslage, die die Flüchtlingsbewegung dramatisch ansteigen und Berlin zum Nadelöhr werden Iießen. Um die „Entstehung eines politischen Gefahrenherdes“ zu verhindern und die Stadt Berlin zu entlasten, wurde dem überwiegenden Teil der Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, um sie in die Bundesgebiete weiterleiten zu können. Eine Entspannung der Krisensituation war im Frühjahr 1953 noch nicht erkennbar, sodass die zuständigen Behörden weiter zum Handeln gezwungen waren. Im März 1953 war der Höhepunkt der bisherigen deutsch-deutschen Völkerwanderung erreicht. Es flüchteten 58.605 Menschen in den Westen. So ließ das niedersächsische Flüchtlingsministerium verlauten:

„Der seit Ende Dezember erheblich angestiegene Zustrom an Zuwanderern aus der sowjetischen Besatzungszone, von denen sich z.Zt. etwa 98% nach Westberlin begeben, hat jedoch zu einer solchen Ansammlung von Flüchtlingen in Berlin geführt, dass sofort Maßnahmen zur Entlastung Berlins erforderlich wurden. Die Ministerpräsidenten der Länder der Bundesrepublik haben sich in der Besprechung mit dem Bundeskanzler am 6. Februar 1953 bereit erklärt, bis auf weiteres monatlich 30.000 Flüchtlinge aus Berlin aufzunehmen .“

Infolge des „Flüchtlingsstaus“ in Berlin wurde die Anzahl der täglich auszufliegenden Menschen mehrfach erhöht. In der Zeit vom 23.2. bis zum 8.3. wurden täglich 950 Menschen aus Berlin ausgeflogen, davon kamen 35 Personen nach Niedersachsen. Für die folgenden vier Wochen musste die Quote zur Entlastung Berlins auf 1.150 Menschen erhöht werden, wovon 43 Personen täglich nach Niedersachsen gebracht wurden. Die Zahl wurde aber bereits am 16. März revidiert und auf 2.000 Menschen festgesetzt, die täglich in den Westen gebracht wurden. Damit erhöhte sich die Quote für Niedersachsen auf 74 Flüchtlinge pro Tag.

Das „Flüchtlingsnotleistungsgesetz“

Die Unterbringung der vielen Flüchtlinge war nur durch die Einrichtung neuer Lager und sogenannter „Notunterkünfte Ost“ zu bewerkstelligen. Die in Frage kommenden Räumlichkeiten sollten nötigenfalls mittels Beschlagnahmungen beschafft werden können, was dann allerdings nie erforderlich wurde. Dazu wurde am 9. März 1953 das „Flüchtlingsnotleistungsgesetz“ erlassen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg richteten gar Gastlager in anderen Bundesländern ein, wo die Flüchtlinge übergangsweise untergebracht wurden. So wurden für Nordrhein-Westfalen vorgesehene Flüchtlinge u.a. zunächst nach Hamburg und Bremen gebracht. Auch im Bohldammlager wurden zeitweise „Gäste” aufgenommen. Im Notaufnahmelager wurden wegen Errichtung der Sperrzone weniger Flüchtlinge verzeichnet, wodurch noch Kapazitäten frei waren. Durch die längere Aufenthaltsdauer dieser Zuwanderer wurden neue Maßnahmen erforderlich. So wurde bereits im Dezember 1952 festgestellt, dass sich unter der Gruppe dieser Flüchtlinge, also für Nordrhein-Westfalen vorgesehen und über Hamburg ausgeflogen, auch vierzig bis siebzig schulpflichtige Kinder befänden. Da sich die Menschen vier bis sechs Wochen ım Lager aufhielten, müsse Schulunterricht für die Kinder organisiert werden. Die Bezirksregierung in Lüneburg erklärte sich darauf hin bereit, dafür Sorge zu tragen, dass eine zusätzliche Lehrkraft zur Verfügung gestellt würde. In der Schulchronik Veerßen aus dem Jahr 1953 wurde ebenfalls von dem Ereignis berichtet, dass in diesem Jahr für neun Monate Kinder des Flüchtlingslagers nachmittags in der Schule Veerßen unterrichtet wurden und dafür eine Lehrerstelle beantragt und bewilligt worden war, bis sich die Situation wieder änderte und die Lehrerstelle nicht mehr benötigt wurde.

Nach der Flüchtlingswelle 1952/53 drängten die Länder auf eine neue Wohnungsbauregelung. Um die Menschen irgendwann endgültig unterbringen zu können, wurden den Aufnahmeländern Bundesgelder zur Erstellung von Wohnungen zur Verfügung gestellt. Bereits im Februar 1953 hatte sich die Regierung mit den Bundesländern dahingehend geeinigt, zunächst einmalig besondere Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus auf der Berechnungsbasis von 1.500 DM pro zugewiesenem Zuwanderer zu leisten.

Bohldamm im Medieninteresse 1952/53

Die deutsch-deutsch Beziehungen des Jahres 1952/53 fanden großes öffentliches Interesse, womit das Lager am Bohldamm natürlich im Focus der Öffentlichkeit stand. Beispielsweise wurden zwanzig Kinder des Lagers von der Zeitschrift „Stern“ im Dezember 1952 für eine Woche zum Erholungsurlaub in den Harz eingeladen. Es kam nicht nur häufig Besuch in das Lager, sondern längst fällige Sanierungs- und Verschönerungsmaßnahmen konnten in die Wege geleitet werden. Das große öffentliche Interesse hatte hingegen keine positiven Auswirkungen auf eine mögliche Beschleunigung des Finweisungsverfahrens von Flüchtlingen und gestaltete sich im übrigen auch deshalb nicht ganz einfach, weil sich die Aufnahmeländer auf keinen Fall Fördergelder entgehen lassen wollten. So gab es eine Antrage des niedersächsischen Vertriebenenministeriums, ob es denn möglich sei, Personen, die zu ihren Verwandten ziehen wollten, beschleunigt einweisen zu lassen. Die wurde aber vom nordrhein-westfälischen Sozialministerium mit der Erklärung abgewiesen, dass nur Flüchtlinge aufgenommen würden, wenn eine Anrechnung auf das Aufnahmesoll erfolge, damit sie Anspruch auf den Bauzuschuss erheben könnten.

Das Bundesvertriebenengesetz von 1953

Die Einstellung zu DDR Flüchtlingen hatte sich seit 1949 merklich gewandelt, wenn es auch in der Bevölkerung immer noch Vorbehalte und Abneigungen gegen den Zulauf gab. Mittlerweile begann sich aber die wirtschaftliche Lage spürbar zu verbessern. Durch den einsetzenden Aufschwung wurden die Menschen nicht nur einfacher in Arbeit vermittelt. sondern die allgemeine Nachfrage nach Arbeitskräften stieg an. Das größere Problem war letztlich die Unterbringung der Menschen, weshalb nun die entsprechenden Fördermaßnahmen anliefen. Mit den Flüchtlingen aus der DDR kamen jetzt nicht nur benötigte Arbeitskräfte in die Länder, sondern auch finanzielle Mittel für den Wohnungsbau. Mit den einsetzenden Unterstützungen wurde neuer Wohnraum geschaffen, was eine wichtige wirtschaftliche Schubkraft bedeutete.

Eine gewisse rechtliche wie wirtschaftliche Gleichstellung von Flüchtlingen und Vertriebenen der ehemaligen deutschen Ostgebiete und DDR-Flüchtlingen erfolgte mit dem Bundesvertriebenengesetz von 1953. Das bedeutete, dass diese Unterstützung aus dem Lastenausgleich erhalten konnten. Mit dem Gesetz wurde auch erstmalig festgelegt, dass der Begriff „Flüchtling‘ für anerkannte Zuwanderer aus der DDR angewendet wurde, während bei der großen Gruppe der Vertriebenen zwischen „Vertriebenen“ und „Heimatvertriebenen“ unterschieden wurde. Mit dem Gesetz wurde nicht nur eine soziale und wirtschaftliche Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe angestrebt, sondern es sollte das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein der Deutschen erhalten bleiben.

„Der Status des Sowjetzonenflüchtlings war an die Ausstellung des Flüchtlingsausweises C gekoppelt. Eine Anerkennung im Rahmen des 1951 einführten Notaufnahmeverfahrens war dabei keine Voraussetzung für die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling.“