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Aus der Darstellung der Studenteneinsätze ging bereits deutlich hervor, dass es sich bei der Schaffung von Praktikumsplätzen für Studenten weniger um berufsbezogene Praktika handelte, sondern hauptsächlich die politische Aufklärung der Jugend beabsichtigt war. So war u.a. in einem Schriftwechsel über den Einsatz von Studenten der Universität Hannover im Herbst 1958 ım Niedersächsischen Flüchtlingsministerium festgestellt worden:

„Der größte Teil der Arbeit in Uelzen und die gesamte Tätigkeit in Friedland haben nichts mit Ju. gendarbeit zu tun. Dennoch sind diese Einsätze von den meisten Studenten begrüßt worden da sie einen unmittelbaren Einblick in das Flüchtlingsproblem unserer Tage erhalten.“

Die Lagerleitung in Uelzen war nicht nur um die Studenten, die ins Lager kamen, äußergt bemüht, sondern öffnete auch für Schulklassenausflüge die Tore des Lagers. Diese Ausflüge schienen die beabsichtigte Wirkung auf die Schüler nicht zu verfehlen. So kam beispielsweise im Herbst 1957 zu einem regen Schriftwechsel zwischen Schülerinnen der Wilhelm-Rabe-Schule aus Lüneburg und dem stellvertretenden Lagerleiter Selchow. Die Schülerinnen waren von dem Gesehenen im Lager so beeindruckt, dass sie daraufhin einen Vortrag in ihrer Schule planten, dem eine Spendenaktion angeschlossen werden sollte. Der Tatendrang der Mädchen war damit aber noch nicht beendet. Sie boten sich in der anstehenden Adventszeit für Hilfsaktionen an. Sie beriefen sich dabei auf die Klagen der Lagerleitung, die sich während ihres Besuches über mangelnde freiwillige Hilfe beklagt hatte. Die Schulleitung unterstützte die Schülerinnen in ihren Vorhaben. Die Lagerleitung zeigte sich um die Einsatzbereitschaft der Schülerinnen sehr erfreut, schickte ihnen Informationsmaterial für den beabsichtigen Vortrag und schlug vor, in der Vorweihnachtszeit für Päckchen zu sammeln und sie fertig zu packen. Die Schülerinnen waren nun nicht mehr zu bremsen und beabsichtigten als nächste Aktion in den Weihnachtsferien gemeinsam mit einer anderen Klasse ein Praktikum im Lager zu absolvieren. Zwar schrumpfte die Anzahl der Schülerinnen dann doch deutlich zusammen, aber immerhin waren fünf Schülerinnen in der ersten Woche des Jahres 1958 im Bohldammlager aktiv. Im Schriftverkehr mit den Lehrerinnen lobte Selchow nicht nur das Engagement der Schülerinnen, sondern betonte, dass der Kontakt zur Schule aufrecht erhalten werden sollte. Er schlug einen gemeinsamen Wandertag der beiden aktıven Klassen an die Zonengrenze vor. Ihm sei es bei dem Praktikum vor allem darum gegangen, der heranwachsenden Jugend die sozialen Aufgaben und die Verantwortlichkeit des Einzelnen zu verdeutlichen. Ein Ausflug an die Grenze sei besonders sinnvoll, da „durch das persönliche Erlebnis dieser unmenschlichen Mauer quer durch unser Deutschland die Erkenntnis jenes brutalen Systems des Ostens noch tiefer eindringen wird. Es muss aber Aufgabe aller verantwortungsbewussten Menschen sein, in der westdeutschen Bevölkerung mehr als bisher das Gefühl für die große Gefahr, die sich jenseits der Freien Welt ergibt, zu erwecken. Die erscheint uns jedenfalls als die entscheidende Aufgabe unseres jetzigen Daseins.

Das Lager in der Presse

Regelmäßige Berichterstattungen über das Flüchtlingslager am Bohldamm erschienen in der Uelzener Allgemeinen Zeitung. Hier wurde über Besuche aus Politik und Gesellschaft berichtet, über Veränderungen innerhalb des Lagerlebens und kulturelle Ereignisse erzählt. Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit war wichtig und wurde gern von der Leitung des Lagers genutzt, um für die Situation des geteilten Landes und den sich daraus ergebenen Folgen ein Problembewußtsein zu schaffen. Dies war allein schon deshalb nicht ohne Bedeutung, weil die Flüchtlinge auch „Kosten“ verursachten, die man zu rechtfertigen hatte und für die man um Verständnis bat.

Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen des Lagers

Ein wichtiger Anlass für eine umfassende Darstellung war beispielsweise die Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen des Lagers. Die Lagerleitung hatte am 30. September 1955 Vertreter aus Politik und Verwaltung, Kirche, Flüchtlingsverbänden und Wohlfahrtsorganisationen zu einer Gedenkstunde in die Kulturhalle des Lagers eingeladen. Die Gedenkstunde, die durch Orchesterbegleitung und Gedichtvorträgen einen würdigen Rahmen erhalten sollte, versuchte laut Kommentar der Zeitung eine Rückschau zu halten „auf das, was ın diesen zehn Jahren in dieser Schleuse zwischen Ost und West an aufopferungsvollem Dienst in der Pflicht der Menschlichkeit zu leisten war und geleistet wurde.“ So gedachte der Diakon des Lagers der Toten nach Ende des Krieges, die nicht nur Opfer des Vergangenen seien, sondern gar Märtyrer des Kommenden. Und Lagerleiter Brauner führte in seiner Ansprache aus, dass das Lager das Tor zur Freiheit sei, die aber zugleich Heimatlosigkeit sei. Die Menschen, die kämen, würden getrieben aus Not und in Hoffnung auf Wiederherstellung der menschlichen Würde. Er dankte daher allen Unterstützern, voran den Mitarbeitern des Lagers und den Wohltätigkeitsorganisationen, für die hervorragende Arbeit, die sich vor allem durch die gute Zusammenarbeit auszeichnen würde. Was hier an materiellem und seelischem Beistand geleistet würde, sei nicht nur dankbar anzuerkennen, sondern zu bewundern. Die Anforderungen ım Lageralltag seien ohne diese Form der Unterstützung gar nicht zu bewältigen, da hierfür weder Planstellen noch finanzielle Mittel vorhanden seien. Es ginge doch letztlich darum, nicht Almosen zu verteilen, sondern die Last eines gemeinsamen Schicksals für eine gemeinsame Zukunft zu tragen.

Vertreter aus Kreis und Stadt würdigten die Bedeutung, die das Lager mittlerweile für Uelzen habe. Bürgermeister Dr. Lücke führte aus, dass in der Zeit, als das Lager errichtetet worden sei, weder Bund noch Land bestanden hätten und die Last allein von der Stadt habe getragen werden müssen. Inzwischen sei es aber mit seinem Personal und seinem vorbildlichen Einrichtungen zu einem Wirtschaftsfaktor für Uelzen geworden.

Die Feierstunde genügte sicherlich den Erwartungen, die allgemein mit solchen Veranstaltungen verbunden werden. Es bot sich die Gelegenheit, mit dem zehnjährigen Bestehen des Lagers am Bohldamm an die Teilung Deutschlands zu erinnern und die im Lager geleistete Arbeit zu würdigen. Die Reden klangen routiniert und entsprachen der jeweiligen sozialen Funktion des Vortragenden. So bedankte sich der Lagerleiter bei seinen Mitarbeitern, die Vertreter von Stadt und Kreis lobten die Leistungen von Stadt und Kreis, die sich aber mittlerweile auszahle, und der Diakon gedachte der Toten von Flucht und Vertreibung nach Ende des Krieges. Allerdings wurde dabei außer Acht gelassen, dass die Gründung des Lagers mit dem Ende des Krieges und dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland verbunden war. Einzig der Lagerleiter erinnerte mit seinem Hinweis eines gemeinsamen Schicksals an eine Verantwortung aller Deutschen für ihre Vergangenheit, die die Voraussetzung einer gemeinsamen Zukunft sei.